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Gegen Ende eines Tages

Written in Argentina
09/28/2003 by phil

Der Text vom Vortag erklaert, weshalb wir so zackig und zielstrebig unterwegs sind. Schon fast koennte die Leserschaft den Eindruck bekommen, dass wir in guter Laune, mit Scheuklappen und viel Glueck, problemlos durch die Gegenden brausen. Dass ich versuche, den Moment zu geniessen, habe ich geschrieben. Dass dies nicht immer gelingt und wie ich mich fuehle, wenn ich mit der vollen Ladung bis unters Knie im Sand stecke und dabei das Hier-und-jetzt verfluche, soll hier beschrieben werden. Dann braucht es in der Regel eine heisse Dusche, ein warmes Essen und wenns ganz hart gekommen ist eine Muetze voll Schlaf, bis das Erlebte als Genuss in einem Winkel des Hirns abgelegt werden kann.


Da Jasmin tolle Reiseberichte schreibt, bin ich, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, gehalten, die Reise unter anderen Aspekten zu beleuchten und scheue mich deshalb nicht vor einem Seelen- Stripdease. Was bleibt mir denn anderes uebrig. Natuerlich bin ich mir bewusst, dass in meinen Texten die eine oder andere Aussage enthalten ist, ueber welche ich selbst in zehn Jahren schmunzeln werde. "Mit wehenden Fahnen werden wir untergehn", hiess es in einem Lied der Toten Hosen, welche ich mit fuenfzehn gern hoerte. Also liebe Eltern, kein Punkrock fuer ihre pubertierenden Sproesslinge, sonst endet ihr Kind als motorradfahrender Weltreiser. Hoert ihr Kind mit zwanzig immer noch ausschliesslich diese Musik, haben sie allerdings grundsaetzlich etwas falsch gemacht und es besteht die Gefahr, dass aus dem Nachkommen ein tragischer Komiker wird.


Zum Thema. Zwischendurch kommen wir oder manchmal nur jemand von uns, an den Rand koerperlicher und/oder psychischer Grenzen, wobei das erstere das zweite stark beeinflusst. Zuerst schildere ich eine Situation, welche dazu fuehrt, dass Nerven verrueckt spielen und danach, wie ich mich dabei fuehle.

Sie kennen die Ausgangslage. Sie fahren in der Schweiz auf einer Alpenstrasse, seit drei Minuten ohne Verkehr. Fuer die kleinen und engen Verhaeltnisse des Landes ist das schon als Einoede zu bezeichnen und gerade in dem Moment, in dem sie beginnen ein Ritter der Landstrasse Gefuehl zu entwickeln, schwankt vor ihnen ein Radfahrer bergaufwaerts und entgegen kommt die halbe Einwohnerschaft des naechsten Dorfes auf ihrem Weg nach Zuerich, allen voran der einzig verbliebene Bauer in seinem Traktor mit Heuwagen. Die einzige Moeglichkeit nicht Schlagzeilen zu schreiben besteht in einer Vollbremsung, danach haessiges reindruecken des ersten Ganges und demonstrativ bis in den roten Bereich rein drehen, soll er doch ersticken, der doofe Geiferi. Nein, diese Situationen bringen mich wahrlich noch nicht ans Limit, ich fluche dem Auto dann jeweils hinterher und weiter gehts. Derartige Ereignisse sind zu klein in ihrem Ausmass und die Regelmaessigkeit - "immer ist das so" - ist mehr egozentrische Wahrnehmung als hoeheres Gesetz. Wobei ich auf der Reise mitten auf einem Salzsee eine Notbremse hinlegen musste, da mir ein Hund vors Rad sprang, aber lassen wir das.
An den Rand bringen mich aeussere Umstaende, die, subjektiv betrachtet, nicht vorhersehbar waren, kombiniert mit einer koerperlichen Muedigkeit und einer entgegenlaufenden Erwartung. Von Patagonien war ich mir beispielsweise von Anfang an im klaren, dass es bei planmaessigem Ablauf windig und kalt sein wird. Siehe da, es ist windig und kalt, doch bin ich ja darauf vorbereitet. Nicht nur was die Ausruestung betrifft, sondern vor allem im Geiste. Denn dieselben Bedingungen in den USA hatten mir maechtig zu schaffen gemacht, waehrenddem mir in Patagonien die Kilometer locker von der Rolle laufen. Da konnten Einheimische und Meteorologen in Nordamerika noch so oft erklaeren, dass es sich um einen aussergewoehnlich kuehlen und stuermischen Fruehling handelt. Es ist zu diesem Zeitpunkt das Nicht- Wahr- Haben- Wollen, welches verhindert, dass die Energie den Koerper waermt, statt dessen in schwarzen Gedanken muendet. Wenn ich in Bolivien wusste, dass an einem Tag zweihundertfuenfzig Kilometer Offroad ueber Stein und durch Sand zu fahren sind, so sehe ich das als sportliche Herausforderung, die ich gerne annehme und ich freue mich sogar darauf. Kommt dann auf den letzten vierzig Kilometern, welche asphaltiert sein sollten, eine Umleitung wegen Renovationsarbeiten und der Pfeil auf dem Schild zeigt direkt in ein Flussbett, so winkt mir am Horizont ein buckliges Maennchen mit fiesem Laecheln und einem riesigen Transparent "Deine Grenze". Abgesehen von der Moeglichkeit aufzugeben jeder Wahl beraubt, was ich ganz allgemein nicht mag, muss mobilisiert werden, was noch da ist, um das Flussbatt zu meistern. Ein kaerglicher Rest an Energie, nach ueber sechs Stunden hoechster Konzentration auf der Fahrt bis an diesen Punkt der Strecke. Und dabei hatte ich gemeint, wir haettens geschafft. Zwei Minuten waren wir schon auf Asphalt gefahren, ich habe innerlich gejubelt und mir auf die Schultern geklopft. Das ist als strecke ihnen jemand ein Guezli entgegen und in dem Moment, in dem sie es greifen wollen, zieht dieser Jemand die Hand mit dem Guezli weg und haut ihnen mit der anderen Hand eins ins Gesicht. Ich stand in diesem Flussbett, klatschnasse Fuesse, denn das Wasser war stellenweise so tief, dass es ueber den Stiefelrand lief und diese fuellten. Die panische Angst waehrend einer dieser Senken nicht hin zu fallen, zusammen mit dem Blick an den Horizont, der kein Ende absehen liess. Der Schweiss laeuft mir unter dem Helm nur so herunter und irgendwann kann ich nicht mehr anders als diesen aus zu ziehen, ich schreie Woerter in die Luft, die ich besser nicht zitiere und schmeisse die Sonnenbrille mit einer Wucht auf den steinigen Boden, so dass diese zertruemmert. Dieser Ausbruch der Wut gibt mir, in dem Augenblick, in dem ich los lasse, auch Hoffnung. Denn ich kann darauf vertrauen, dass noch genuegend Kraft vorhanden ist, um die laehmende Verzweiflung in Schach zu halten. Spass hat das nicht gemacht und noch heute laeuft mir ein Schauer ueber den Ruecken, wenn ich mich an diese acht Kilometer Flussbett mit etwa zehn Wasserstellen, diese eine Stunde schieben, zerren und kaempfen, zurueck erinnere.


Es ist nicht so, dass ich alles im Voraus wissen muss, dass alles geplant und strukturiert sein soll. Am Anfang einer Etappe kann mir die Erkenntnis, dass ich keine Ahnung habe, reichen, um froehlich alles auf mich zukommen zu lassen. Die Kraft wird in diesem Fall ganz anders eingeteilt. Doch diese Guezli- Ohrfeigen- Situationen mag ich nicht. Verflucht wird der Ort des Geschehens, verflucht werde ich, der wohl zu laut Punkrock gehoert hat, ich ziehe ueber die Einheimischen her und stemple saemtliche ihrer mir fremden Eigenheiten und Regeln als dumm ab. Zum Ende der Schwur, nie mehr hier hin zu kommen und ganz sicher mit dem Texten im Internet auf zu hoeren, da alles Illusion und Selbstbetrug sei. Wie zu Beginn erwaehnt bringt ein staerkendes Mahl und eine heisse Dusche die Welt wieder in Ordnung. Der Kopf funktioniert dann wieder normal, jedenfalls so wie vorher. Eine innere Versoehnung mit mir und den Einheimischen, die nie etwas von den negativen Ausbruechen tragen muessen, und spaeter irgendwann einmal die Erkenntnis, dass es genau diese Erlebnisse sind, an denen man waechst.


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Written on the 167th day of trip I - America/Africa
32'003 Km on the road


Route in Argentina


 
 
 
 
 

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