Written in Kenya
12/10/2003 by phil
Als wir uns Mitte April in New York bei nasskaltem Wetter auf den Weg machten, habe ich mir noch keine Gedanken darueber gemacht. Doch schon wenige Wochen spaeter ist es mir zum ersten Mal aufgefallen. Als wir die trockenen Steppen von Texas durchquert haben, die rot leuchtende, lehmige Erde, gesprenkelt mit dem hellen, doerren Buschgras, traumhaft schoen anzusehen, das steinige New Mexico und die ausgetrockneten Taeler Nevadas mit den hohen, felsigen Bergen Kaliforniens am Horizont. In den Wuesten Mexicos erhaertete sich meine Vermutung und wurde in den meist verlassenen, doch immer herunter gekommenen und schaebigen Fischerdoerfern an der Pazifikkueste zur Gewissheit: Suesswasser ist Leben. Es reicht heute nicht mehr, nur Salz oder andere Mineralstoffe zu foerdern. Es reicht nicht mehr, nur endlose Flaechen fruchtbaren Bodens zu besitzen. Es reicht nicht mehr, nur ein kleines Fischerboot durch leergefegte Kuestenwasser zu quaelen. (Dabei faellt mit ein, dass die Personen, welche entschieden haben, dass es im Zuercher Hauptbahnhof gleich zwei Filialen von "Nordsee" gibt, paniert, fritiert und zur Haelfte weggeworfen gehoeren). Es reicht nicht mehr, nur Holz zu roden um Brennstoff zu gewinnen. Grundlage allen Lebens ist sauberes Trinkwasser. Die heutige Technologie laesst Wuesten bluehen, einen gleich gross bleibenden Acker immer mehr Naehrstoffe produzieren, was einst Wald war kann zu Wohn- und Geschaeftsraum fuer die steigende Anzahl durstiger Menschen werden. Vorausgesetzt, man hat Wasser.
Die Reise bringt uns durch eine Vielzahl von Laendern und Kulturen, die eines gemeinsam haben: das Streben nach steigendem Wohlstand. Denjenigen einer Gesellschaft oder dem eigenen. Woran kann ich erkennen, wie weit es eine Nation schon gebracht hat, auf ihrem Weg zum Schlaraffenland? Welches sind erkennbare Indikatoren, wenn ich meine Serie vom Fischer Weltalmanach weder dabei noch im Kopf habe? Mit Internetzugang kann ich beispielsweise auf das jaehrliche Factbook der CIA zugreifen, welches gratis zur Verfuegung gestellt wird und auch herunter geladen werden kann. Dort gibt es Tonnen an Laenderinformationen, aehnlich dem deutschsprachigen Pendant. Unterwegs und unvernetzt habe ich mein Sensorium angestrengt und nach Hinweisen auf den Entwicklungsstand eines Landes gesucht. Und dabei so einiges entdeckt.
Coca Cola bekommt man bis zur hintersten Ecke dieser Welt. Nicht immer eisgekuehlt, doch erstaunlich oft. Also kein Gradmesser, waere da nicht die Flasche. Schon mehrmals habe ich mich gefragt und noch keine Antwort gefunden, weshalb immer in den armen Laendern, dort wo Strassen schlecht bis nicht vorhanden sind, das Sprudelwasser noch in Glasflaschen verkauft wird, kein PET. Coca Cola in PET Flaschen ist demnach schon eine Stufe weiter, laesst Rueckschluesse auf die Infrastruktur zu. Schritt zwei ist Cola Light. Nur eine Gesellschaft, die faehig ist, einen Ueberschuss zu produzieren, verschwendet einen Gedanken daran, Kalorien oder Zucker einzusparen, damit es von etwas anderem mehr verbrauchen kann. Light- Produkte sind ein deutlicher Hinweis auf die Wohlstandslage einer Region und da Coca Cola ein perfektes Vertriebsnetz unterhaelt, sind sie die ersten, die ein Umdenken der Leute fuer sich nutzen koennen. Als naechstes kommen Fitnessstudios in Grossstaedten. Gibt es sie, hat ein Teil der Menschen offensichtlich die Zuversicht, dass das Zuviel nicht Notration fuer schlechtere Zeiten, sondern unaesthetische Beilage sei.
Das Produkteangebot ist sicherlich ein Spiegel der regionalen Wohlfahrt. Auch ich als Reisender stelle fest und finde mich in zahlreicher Gesellschaft, dass es mir da besonders gefaellt, "wo es alles", sprich gewohntes, "mega billig gibt". Es leuchten die Augen derer, die erzaehlen, dass sie "so ein riesiges Buffet fuer nur zwei Dollar" bekommen haben. "Viel fuer wenig" ist das Stichwort fuer den Massentourismus, denn viel mal wenig ist genug fuer ganze Doerfer, die sich geschickt vermarkten. Etwas muss den Startschuss geben. Entweder man schafft eine Attraktion und mit den Touristen kommen die Produkte, oder man schafft die Produkte heran und bietet das, was die meisten Touristen suchen: Ein Stueck Heimat in fremder Gegend.
Des weiteren glauben Jasmin und ich einen weiteren Indikator als Fitnesscenters gefunden zu haben. Praegen in, nach westlichen Massstaeben gemessenen, entwickelten Gegenden die Maenner das Bild des Arbeitslebens, so sind es in Nachholregionen die Frauen. Sie schmeissen den Markt, den Laden, die Felder, sowie einen ganzen Haushalt. In dieser Zeit hinterlassen viele Maenner einen bleibenden Eindruck in Form einer Rechnung in der Dorfkneipe.
Waehrend dem Kleider keinen schluessigen Hinweis auf individuellen Wohlstand geben, so tun dies oft die Schuhe. Hat die Person ueberhaupt Schuhe, wenn ja, was fuer welche, sind sie aus Kunststoff oder Leder, abgelatscht oder gepflegt, sind sie dem Klima und dem Boden angepasst oder einfach die einzigen. In Latinamerika laufen mitunter die Rucksacktouris am verlottersten durch die Gassen, Hosenbund fast an den Knien unten, aber die Schuhe, die truegen auch bei ihnen nie.
Ebenfalls kein Hinweis sind Mobiltelephone. Sei es irgendwo auf viertausend Meter in den Anden oder bei einer Strohhuettensiedlung in Zambia, es piepst und polyphont, Handys der neusten Generation der bekannten Marken tragen bei zum transformieren des Lifestyles aller Voelker.
Nebst produktorientierter Merkmale gibt das Gesellschaftsverhalten ebenfalls Hinweise. Wie sauber eine Gesellschaft ist, bemerke ich auf Durchreise relativ schnell . Muell produzieren wir alle, doch wie wird damit umgegangen? So sind in Chile saemtliche Rastplaetze von Glasscherben uebersaeht. Immerhin haben sie Rastplaetze. In Peru hat es teilweise Strassenschilder, dass Pneus verbrennen verboten sei. Ist es an den anderen Orten erlaubt?
Es gibt allerdings noch weitere als augenscheinliche Merkmale. Es ist dies beispielsweise die Luftqualitaet oder die Art, wie Leute untereinander und miteinander umgehen. An einem Schalter anstehen kann eine enge, draenglige Angelegenheit sein, zb Kenya, vorausgesetzt, man wird ueberhaupt bedient, zb Chile. Der Bildungsstand ist wie schon mehrfach in frueheren Texten erwaehnt und deshalb nicht weiter ausgefuehrt, ebenfalls ein zuverlaessiger Indikator.
In Afrika sind wir weit entfernt von Cola Light (ohne Witz, im Moment sitze ich in Isiolo auf einem Campingplatz, warte auf besseres Wetter und nebenan auf der Wiese singen und tanzen mit Federn geschmueckte Erwachsene), hier ist noch Glasflaschenland und ein Fitnesscenter habe ich in Nairobi zum ersten Mal seit langem gesehen. Jeder Tag birgt hier etwas neues und ich bin freudig gespannt darauf, sei es auch nur, bis die Strasse nach Marsabit endlich wieder trocken ist. Unwohl fuehle ich mich in einem Volk, das nach westlichem Lebensstil bettelt, sich dafuer verkauft und nicht merkt, dass Rechte zu haben auch bedeutet, Pflichten zu erfuellen.
Und wie komme ich auf Cola Light? Sommer 1990 mit meiner Schwester auf Interrail in Suedeuropa. "Entweder Cola Light, oder du hast keinen Durst", hat sie gesagt, die beste aller Schwestern. Und seither trinke ich das Zeugs und kann ihnen exakt sagen, wo man es bekommt!