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Scheiss Indien?

Written in India
08/24/2010 by jazz

Zuerst waren da die zwei “behueteten” Wochen bei Jenses Familie. Langsam und in unserer Sprache wurden wir familiaer in ein indisches Dasein eingefuehrt. Wir lernten vor allem die indische Speisekarte, das Fahrverhalten der diversen Verkehrsteilnehmer und auch etwas die Mentalitaet des Suedinders kennen. Wir erlebten eine farbenfrohe indische Hochzeit und, viel mehr noch, die ganzen Ablaeufe rund um dieses grosse Fest kennen. Danach machten wir die ersten “Jungfluege” auf unseren Royal Enfields in Kerala und kehrten jedes Mal wohlbehalten ins Nest der Familie zurueck. In diesen zwei Wochen gelang es mir gut und einfach Gast zu sein, mich treiben zu lassen, zu geniessen und all dies Fremde und Neue auf zu saugen, wie ein ausgetrockneter Wandtafelschwamm nach den Sommerferien. Da war kaum je ein Gedanke an Zuhause und auch das Planen und Organisieren von “Morgen” lag nie wirklich in unseren Haenden.

Und dann, zwei Wochen nach unserer Abreise von zu Hause, zogen wir auf eigene Faust los. Selber fahren, selber einkaufen, selber schauen wo als naechstes geschlafen wird. Es ist tatsaechlich nicht viel mehr als das- im Wesentlichen: Essen, Schlafen und Fortbewegen. Ist doch gar nicht so viel oder? Tja, es ist eben “nur” das Wesentliche und nicht das, was das Reisen meiner Meinung nach wirklich ausmacht.

All das, was Auge, Ohr, Herz, Bauch und Seele beim Reisen beruehrt und beschaeftigt, alles das braucht Zeit, Kraft und Mut. Um all diese Eindruecke, die Positiven wie auch die Negativen, zu verarbeiten brauche ich viel Energie; oft mehr als ich bekomme. Und eben, dann habe ich mich ums Wesentliche noch nicht bemueht: nach einem Tag Unterwegssein, nach einem Tag Reisen, habe ich Hunger, muss ich schlafen und einen Plan fuer den naechsten Tag machen.

Ich bin dann im Unterwegssein angekommen, wenn ich das Wesentliche (Essen, Schlafen, Forbewegen) und das Reisen (all die Erlebnisse und Eindruecke vom Strassenrand) so geregelt bekomme, dass das Energiependel deutlich in den positiven Bereich ausschlaegt.

Auch dieser Reise geht eine lange und intensive Planung voraus. Wetterkarten, Klimadiagramme und Landkarten habe ich studiert. Zahlreiche Reisefuehrer durch geackert und mich so ueber Land und Leute in Indien informiert. Das alles motivierte mich natuerlich total fuer diese Reise und gab mir sowas wie einen Energieschubvorschuss, sowas wie eine Rosabrille fuer die Abfahrt, den Start der Reise. Und die Gefahr, mit dieser Startenergie, dieser Rosabrille, viel zu viel und viel zu schnell und irgendwie gar nicht richtig ortsangepasst durch das Land zu brettern, dieser Gefahr erliege ich auch in Indien- beinahe.

Beinahe waere mir die Energie auf meinem Huerdenlauf von der Abfahrt zu Hause bis zum Ankommen im Unterwegssein ueber meinen Kopf gewachsen um sich innert kurzer Zeit ganz zu verabschieden. Sie hat mit getrieben und geblendet: zu gross waren unsere ersten Etappen, zu lange habe ich alles als genial, super, speziell und faszinierend empfunden. Und so kam es, dass ich mich auf einmal mit unbeschreiblichem Hunger in einer unsaeglich miserable Absteige wiederfand. Die Grille im Schrank raubte mir den dringend noetigen Schlaf und ich musste mir in dieser Nacht eingestehen, dass ich es so noch kaum fuenf Tage mache, geschweige denn bis Delhi.

Es folgten 48 entscheidende Stunden, die letzten Huerden? Die Rosaenergiebrille ist weg. Ich nehme Indien, mich in Indien, so wahr, wie es ist. Ich sehe die Armut, den Schmutz. Ich rieche den Gestank in der Nase spuehre ihn in der Lunge. Ich hoere den Laerm von morgens um fuenf bis abends um elf. Ich fuehle tausende von Menschen um mich herum, immer und ueberall. Ich nehme wahr, wie sie mich oft anstarren weil ich als Frau, als weisse Frau mit verbotener Frisur, ein schweres Motorrad fahre. Sie glotzen und machen Fotos von mir, staendig und ueberall. Nicht die Kinder, nein. Die Maenner; die Frauen tuscheln nur, die Kinder staunen. Ich merke, wie sich die Fragezeichen in mir drin anhaeufen. Vieles kriege ich nicht auf einen Nenner, viele Gegensaetze geben mir zu denken. Und mir wird klar, es ist nicht Indien, das ploetzlich Scheisse ist. Nein, es bin ich, die Europaerin, die noch nicht angekommen ist. Ich lasse meine gebleichten Haare schneiden (beim Herrencoiffer), ich kaufe und trage indische Kleidung. Und wir aendern die Himmelsrichtung. Dehli ist nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, in Indien, so wie es ist, eine gute Zeit zu haben. Und wir sind der Ansicht, im Sueden Indiens eher die Bedingungen vor zu finden, die unserer Reisetauglichkeit, unserer Reiseenergie entsprechen. Die Tagesetappen erhalten als oberstes Limit 100km, die Zielorte werden, wenn moeglich, im Internet nach Hotels abgecheckt. Wir reservieren nicht; wer weiss was der Tag bringt. Aber wir planen- der Energie wegen.

Ich bin weg von zu Hause, auch im Denken und Handeln. Angekommen im Unterwegssein, vielleicht.



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Written on the 36th day of trip IV - India/Asia/Australia
1'798 Km on the road


Route in India


 
 
 
 
 

Fotos around that time

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In Tamil Nadu sind ueberall Hindutempel
Foto taken between Krishnagiri and Salem, India.
Aug 2010
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Jazz im neuen Indien-Outfit
Foto taken around Bangalore, India.
Aug 2010
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Kies fuer das Zementgemisch, im Hintergrund der Zementmischer
Foto taken around Mysore, India.
Aug 2010
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... bis ganz hoch wird das Zementgemisch in Metallschalen von Hand zu Hand hoch gereicht.
Foto taken around Mysore, India.
Aug 2010